Susanne Neuburger | MORGENS

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Rosenrote Mädchenschiffe

Weiblich sein und einmal täglich zur Darstellung gelangen, nach dem Traum und vor der Welt, die mit dem Tag verbündet ist. Was könnte mit diesem Namen nicht alles möglich sein: den Tag darbringen, ihn aber zurücklassen und niemals um sein Glück Bescheid wissen, weil es immer nur den Blick nach vorne gibt mit dem nächsten Morgen in Aussicht, wie dies auch die Geschichte des kleinen Mädchens ist, das am Ende der Nacht zur Welt kam, als sein Vater noch auf der Cremoneser Geige zum Tanz aufspielte, während sich die Mutter in ihrem rosenfarbigen Kleid plötzlich zurückzog und beim letzten „Chassez-huit“ eine Tochter gebar, die nach ihrer Großmutter Aurore benannt wurde.

„Sie wird glücklich sein, ihre Geburt war von Musik und Rosenrot umgeben“, war die Prophezeiung einer Tante, jedoch sollte es nicht schadloses Glück sein, das sich in die morgendliche Darstellung wird täglich einbinden lassen: Glück ist, was innehält, während eine Nacht die andere ersetzt und dann wieder der Morgen da ist, der neuerlich das Leben der kleinen Aurore Dupin einlöst und zugleich Garant für den kommenden Morgen ist. Der Name, der immer derselbe ist und Morgenröte als Bild jener Momente in der Früh hinterläßt. Der Name, der jedoch auch die Bewegung, die Zeit ist, das Entrinnen wie bei Musik, Tanz und Schiff: es gibt kein Zurück und nichts darunter, was ein fester Halt im Glück sein könnte.

Mädchenschiffe: am Meer spielen und plötzlich am Ende der Bucht an der Felskuppe Schiffe auftauchen sehen. Kurze Zeit später blickt das kleine Mädchen just an jene Stelle des Glücks, wo es die Schiffe vermutet, die längst im Hafen sind. Es kann sich mit diesem Blick zurück ein Bild zurechtrücken, in dem alles einen bestimmten Platz hat; die Zeit läuft zurück, der Frosch wird zum Prinzen, Absencen und Zeitverschiebungen werden richtiggestellt. Einzig dann ist die Geschichte des Schiffes jene vom Prinzen zum Frosch und umgekehrt, während später das Schiff nur den Bewegungslauf nach vorne kennt und seinen Zeitplan hat, der immer für den nächsten Tag und die nächste Darstellung gilt. Der Name gibt sich selbst weiter, indes die Bilder stehenbleiben, denen der Name nur noch als Utopie anhaftet, weil das Schiff schon davongefahren ist.

Modellschiffe weiblich/männlich

In der damenhaften großstädtischen Kleidung mit dünnen engen Schuhen fühlt sich Aurore Dudevant, die ihren Ehemann verlassen hat und nach Paris gekommen ist, wie ein „Kahn zwischen Eisschollen“ (George Sand). Es hatte sich mehr und mehr herausgestellt, daß ein Schiff sehen und auf einem Schiff leben etwas anderes bedeutet. Darum wußte auch ihre Mutter Bescheid, die sie auf die ungewöhnliche Idee bringt, Männerkleidung zu tragen, um sich so ein Modellschiff zu bauen, das Bewegung garantiert und sich strapazieren läßt. Eine Bewegung, die jeden Atemzug, jeden Schritt zu einem weiblich-männlichen Rendezvous mit sich selbst werden läßt. Sich kostümieren/sich verkleiden, um ihm/ihr ähnlich zu sein, ihm/ihr gleichen zu wollen, so daß Aurore die kostspielige, ihre Finanzen schädigende Garderobe um des Rendezvous willen durch eine männliche mit einem Überrock „a la proprie­taire“ ersetzt, der sie als Besitzer von Jagd, Reisen und Eroberungen ausweist und alles weiblich Seßhafte in die kaputten Damenröcke verbannt.

Als die männliche Kostümierung auch auf den „Buchdeckel“, wie Aurores Schwiegermutter jenen Bereich der Kunst/des Schreibens benannte, übergeht und Aurore das Rendezvous mit George Sand aufnimmt, ist die Künstlerin als Reisende geboren, die Modelle anbieten kann, die sie mit sich führt und in einem langen schwarzen Überrock verborgen hält. Kleid und Namen geben sich gleichermaßen zur Tarnung her und verweisen auf den nächsten Morgen, weil im Modell noch alle Variationen lagernd sind.

Das Schiff der Königin

„Wir haben Dich erwartet, Du bist nicht pünktlich. Du langweilst uns. Suche uns, wir sind abgereist. Arabella“ (George Sand). Mit dieser Nachricht empfängt die Prinzessin die Königin, die eine lange Reise nach Genf hinter sich hat und verspätet ist, weil sie das Morgenschiff abwarten mußte. Die Königin ist mit einem Gefolge gekommen, die Prinzessin hingegen hat den jungen Musiker zur Seite, der Franz Liszt heißt, während sie selbst Marie d’Agoult ist, die ihren Gatten verlassen hat, um mit dem Musiker eine Romanze ohne Boden zu leben, in den Tag hinein, bis der nächste anbricht.

Die heitere Gruppe findet sich schließlich in Chamonix, wo die Königin als Verfasserin der „Briefe eines Reisenden“ das Bildthema bekanntgibt: „Das Absolute ist an sich identisch“ (George Sand).

Es ist zu erwarten, daß beide Damen, obschon wohlgeboren zu gleichen Teilen, auf verschiedene Art die heikle Problematik für sich diskutieren würden. Weil Aurore das allesübergreifende Universum, in dem eine unbegrenzte Menge von Bildern an sich existiert, in ihrem Namen hat, mit dem alles identisch sein muß, ist für sie als Königin der Ort des Absoluten schon gefunden, den sie nun für Marie enträtselt, ihre Prinzessin Arabella, die sie zur Musik von Liszt im Dunkel rings um die Terrasse promenieren läßt ... „Sie trug ein helles Kleid; ein großer Schleier umhüllte ihren Kopf und fast ganz ihre schlanke Gestalt ... Sie war kaum sichtbar am Ende der Terrasse ... verschwand völlig zwischen den Tannen und tauchte im Schein der Lampe wie eine unerwartete Schöpfung der Flamme wieder auf ... trat wieder in den Schatten ... bereit, den Regionen unerschöpflicher Harmonie entgegenzuschweben“ (George Sand), über die die Königin herrscht und in der die Prinzessin als „schöne, edelmütige, intelligente und keusche Frau“ (George Sand) absolute Verkörperung von Harmonie und Glück ist und verweilen kann, während das Schiff der Königin auf Weiterfahrt drängen muß.

In diesen Tagen, die Prinzessin im Gegenpart, schreibt sie an ihren Geliebten Michel de Bourges: „Meine schweren Augenlider können den Glanz der aufgehenden Sonne kaum ertragen. Mich friert zu der Stunde, da alles aufflammt ... “ (George Sand), was die Mühsal der Macht der Königin ausdrückt und auf die keusche Prinzessin verweist, die vom Morgen nicht verzehrt werden kann.

Die Nachtigall

Chopin soll in seinem Tagebuch vermerkt haben: „Sie liebt mich, Aurore, welch entzückender Name …“ Eine Liebe, die er in die Tasten improvisiert, um ihrer genauen Bestimmung zu entgehen. Ein Name, der ihn nach Mallorca führt, auf eine Reise, die mühsam und beschwerlich ist. Chopin kränkelt und Aurore entdeckt die Einsamkeit des Meeres „ ... klar und blau wie der Himmel, sanft gewellt wie eine Ebene aus Saphieren, die sich, von einem unsichtbaren Pflug beständig in Furchen gelegt, aus einer gewissen Höhe gesehen nicht merklich bewegt …“ (George Sand). Es ist wie eine Bewegung, die sich in sich selbst aufgibt, von jenem „Haus der Winde“ aus betrachtet, wo die Gäste logieren und wohin der Morgen vom Meer aus kommt.

Es ist jene Einsamkeit, die ein Schiff emporhalten, es weitertragen kann, während Chopin „Farbe und Zeichnung“ in seiner Musik sucht, um Aurore festhalten zu können. Er beklagt sich bei Delacroix, daß er nur „Abglanz, Schatten und Reliefs“, aber keine „Gestalt“ finden kann, weil sie immer wieder entfleucht. „Und wenn ich nur das blasse Licht des Mondes finde?“ fragt er den Maler, der ihm antwortet: „Dann haben Sie den Abglanz eines Abglanzes gefunden“ (George Sand).

Der Abglanz des Abglanzes heißt wieder nur Aurore, welch ein entzückender Name, den wir in einer Sommernacht träumen und damit Wolkenschiffe benennen, während wir auf die Nachtigall warten.

(Alle Zitate nach: George Sand, Geschichte meines Lebens, Leipzig 1885 bzw. George Sand, Briefe eines Reisen­den, Leipzig 1844.)

Aus | from: Christian Wachter, ABPOPA/AURORA, Edition Camera Austria, Graz 1990 [vergriffen | out of print]

 

Susanne Neuburger | IN THE MORNING

A Girl’s Rose-Coloured Ships

Being female and making one’s appearance once every day, after dreams have ended and in front of a world allied with the day. With such a name, anything can happen to you: you may introduce the day, but you may just as well leave it behind, never knowing how fortunate you are, because you always look ahead, at the prospect of a new day. Such is also the story of the little girl who was born in the dead of night; while her father was playing on his Cremona, her mother, in her rose-coloured dress, retired and, during the last chassez-huit, gave birth to a daughter, who was named Aurore after her grandmother.

“She will be happy, her birth was surrounded by music and the colour of roses.”, prophesies an aunt. However, happiness untainted is not to be, it will defy introduction into the matinal appearance. Happiness is what pauses when one night follows the other, when the morning arrives to redeem little Aurore Dupin's life again, at the same time guaranteeing the following morning. The name is always the same, it leaves behind the rosiness of dawn, the image of moments early at the break of day. The name also reflects movement, time, an escape into music and dance or on a ship: no way back, nothing underneath to provide a foothold in happiness.

A girl’s ships: playing on the beach and suddenly seeing ships appear near the bluff where the bay ends. A short time later, the little girl glances at the very spot in happiness where she believes the ships to be; but they have lang arrived in the harbour. The look back rectifies an image in which everything has its place. The hands of time are turned back, the frog becomes a prince, absences and time-shifts are set right. This is the only time when the ship’s story will be one of a prince turning into a frog and vice versa. Later on, the ship will merely be able to move forward, follow her timetable, which is always valid for the next day, the next appearance. The name hands itself down, whereas the images cannot go any further, their names are nothing but utopias because the ship has already left.

Ships’ Models Female/Male

In her ladylike, metropolitan outfit and flimsy, tight-fitting shoes Aurore Dudevant, who has left her husband and gone to-Paris, feels like a “boat between floes” (George Sand). By and by, she has found that seeing a ship is different from living on one. Her mother knew all along, and she gave her the rather uncommon idea to wear men’s clothes so as to build herself a ship’s model that guarantees mobility and stands wear and tear. This is the sort of mobility that makes every breath, every step a female-male rendezvous with oneself. Dressing up/disguising oneself to be like him/her, wanting to resemble him/her, so that Aurore, for the sake of her “date”, replaces her expensive wardrobe bound to ruin her by manly apparel, an overcoat “a la proprietaire” which identifies her as a hunter, traveller and conqueror, thus banishing all notions of female quaintness into worn-out ladies’ skirts.

When the male disguise is transferred to the “book cover” as well – which is what Aurore’s mother-in-law used to call that certain field of art/writing – and when Aurore takes up dating George Sand, the artist as a traveller is born. She peddles the models she carries around with her, hidden in a long black overcoat. Dress and name equally lend themselves to camouflage and refer to the following morning because all variations are in store in the model.

The Queen's Ship

“We expected you. You are late. You are a bore to us. Look for us, we have left. Arabella” (George Sand). This is the message of the princess waiting for the queen, who has travelled a long way to Geneva and is late because she had to wait for the morning ship. The queen has arrived with her entourage, the princess has the young musician at her side. His name is Franz Liszt, hers Marie d’Agoult, she has left her husband to live with the musician, a bottomless romance, at random, from day to day.

The cheerful group eventually finds themselves at Chamonix, where the queen, the author of Lettres d'un voyageur, sets forth the theme of the picture: “The absolute is identical in itself.” (George Sand).

The two ladies, although of equally high birth, would probably discuss the delicate problem in different ways by themselves. Since Aurore’s name, which everything has to be identical with, holds the all-encompassing universe, in which an infinite number of images in themselves exists, the place of the absolute has been discovered for her, the queen. Now she deciphers it for Marie, her Princess Arabella, who she has stroll around the terrace in the darkness to the strains of Liszt’s music ... “She wore a light dress; a large veil covered her head and almost all of her slender body ... She was hardly visible at the far end of the terrace ... disappeared among the fir-trees and re-appeared in the lamplight like an unexpected creation of the flame ... returned to the shadow ... ready to glide into regions of inexhaustible harmony” (George Sand) – regions ruled by the queen, in which the princess, a “beautiful, noble, intelligent and chaste woman” (George Sand), is the absolute epitome of harmony and happiness and may rest, whereas the queen’s ship must hasten to travel on.

In those days, with the princess being her counterpart, she wrote to her lover Michel de Bourges: “My heavy eyelids are hardly able to stand the gleam of the rising sun. I am cold at the hour when everything blazes with light …” (George Sand). This expresses the hardships a queen’s powers involves and refers to the chaste princess who cannot be devoured by the morning.

The Nightingale

In his diary, Chopin is alleged to have noted: “She loves me, Aurore, what a delightful name ... ” It is a love the true destiny of which he seeks to escape, improvising on the piano keys. It is a name that takes him to Mallorca, on a troublesome and fatiguing trip. Chopin is ailing and Aurore discovers the solitude of the sea “… clear and blue as the sky, softly rippled like a sapphire plain, ever furrowed by an invisible plough, moving but imperceptibly when looked at from a certain height ... ” (George Sand). It is like some movement petering out in itself when one watches it from So’n Vent, the house where the guests are accommodated and which the morning approaches from the sea.

This is the type of solitude to carry a ship, propel it, while Chopin is seeking “colour and line” in his music so he will be able to hold Aurore for once. He complains to Delacroix that all he finds are “reflected splendour, shadow and reliefs”, never figures, which always elude him. “What if I only find the pale light of the moon?”, he asks the painter, who replies: “You’ve found the reflection of reflected splendour, then.” (George Sand).

Again, the reflection of reflected splendour goes by one name only, Aurore, what a delightful name-we dream it in a summer’s night, naming ships of clouds that way while waiting for the nightingale.

(All quotes have been translated into English from the German versions of George Sand’s Histoire de ma vie and Lettres d'un Voyageur | Translation: Elisabeth Großebner)