Come in. Please! (arbeiten-corona-wohnen) [2020]

40 Pigment-Prints auf archivfestem Papier, jeweils 48,3 x 32,9 cm

[…] Etwas anderes sehr Persönliches, nämlich seinen eigenen Wohnraum, stellt Wachter in der Serie Come in. Please! (arbeiten-corona-wohnen) (2020) in den Mittelpunkt: die Wiener Altbauwohnung, deren Mietvertrag er am 9. Februar 1984 unterzeichnet hat und in der er nicht nur lebt, sondern auch arbeitet. […] Entstanden ist diese Serie, die man auch im Großformat an der Glasfront des Fotohof sehen kann, zu Beginn der Corona-Pandemie, der Titel Come in. Please!, ein beißender Widerspruch – reinkommen durfte zu diesem Zeitpunkt nämlich niemand. Beginnend mit dem 17. Februar 2020 um 11:41 Uhr ist jede Aufnahme akribisch beschriftet, ganz gemäß dem Motto „das einzig Wahre an der Fotografie ist Ort und Zeitpunkt ihrer Aufnahme”, wie es der Künstler auf seiner Homepage beschreibt.

Jakob Thaller, Camera Austria International, Nr. 160

[…] Corona geschuldet muss es in den Wohn- und Arbeitsräumen von Christian Wachter bereits unbewegt und still gewesen sein, bevor der Stillstand der Fotografie einsetzte. Jeder Gegenstand scheint an seinem Platz und obwohl nichts arrangiert ist, scheint ein idealer quasi überzeitlicher Zustand zu herrschen, dessen historisch gewachsene Ordnung sich einem Ganzen unterordnet. Auch geben die Räume kaum weiterführende Hinweise auf eine spezielle Situation von Künstleratelier oder Künstlerwohnung, sprechen hingegen von einem Alltag, der in einem Modus des Innehaltens zwischen Zeitgebundenheit und Ewigkeit einen Umgang mit der Zeit suggeriert, der in die Nähe einer philosophisch motivierten Allzeitlichkeit rückt, die hier zwar kein „überall und nirgends“ ist, aber die Räume dem Realen enthebt. […] Persönliches zu den Räumen erfahren wir aus dem zur Arbeit gehörigen Textblatt, das uns die lange Geschichte der Wohnung erzählt, die Wachter seit den 1980er Jahren bewohnt und wo er seit damals lebt und arbeitet.

Susanne Neuburger, Konzept versus Fotografie

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Textblatt:

Am 9. Februar 1984 habe ich den Mietvertrag für die Wohnung unterzeichnet, in der ich heute immer noch arbeite und lebe. Dem waren fast zwei Jahre intensiver Suche vorangegangen.

An der zugehörigen Adresse „offiziell“ angemeldet habe ich mich dann am 19. April. Die Wochen dazwischen sind damit vergangen, alte Holzböden von ihren Teppich- oder Kunststoffbelägen zu befreien und Decken und Wände mit weißer Leimfarbe zu übermalen. Eine Freundin und ein Freund haben mir dabei geholfen. Ein paar Möbel mussten angeschafft, zwei alte Holzöfen durch solche mit Ölfeuerung ersetzt werden, für die war noch ein kleiner Öltank nötig. Mein bisschen Geld war schnell verbraucht. Eine Zentralheizung habe ich erst 15 Jahre später einbauen lassen.

Eine der vier Doppeltüren war 1920 zugemauert worden, um aus einer grossen zwei kleinere Wohnungen zu machen. Diese Mauer habe ich entfernt, Spuren von ihr sind noch heute sichtbar. Wo heute ein kleines Gästezimmer liegt, war viele Jahre meine Dunkelkammer. Mit einem „Durst Laborator 138”, an einer Wand fest verankert und weiteren Gerätschaften über den Raum verteilt.

Zuletzt habe ich im vergangenen Frühjahr einen alten Gasherd der Generation „60 plus“ erneuert und einen Geschirrspüler eingebaut – die für mich wichtigste „Maßnahme“ zum Überleben der Quarantäne (von der ich 2019 selbstverständlich noch keine Ahnung hatte).

36 Jahre, fast mein ganzes Arbeitsleben lang, habe ich überwiegend an der selben Adresse nicht nur gewohnt sondern auch gearbeitet – „home office“ avant la lettre sozusagen – und: nur wenig Unterschied vom Wohnen zum Gewohnten.

Die Umstellung auf das so plötzlich und so stark eingeschränkte öffentliche und soziale Leben war ungleich schwieriger. Die im Titel dieser Fotodokumentation ausgesprochene Bitte, doch herein zu kommen, musste zu lange unerfüllt bleiben.

Bei der Übersetzung meiner Wohn- und Arbeitsräume in den Bildraum dieser Fotodokumentation habe ich mich den Konventionen und den technischen Möglichkeiten des Mediums fast blind anvertraut, anders als sonst. Aus dem Wunsch heraus einen Erinnerungsspeicher zu schaffen mit möglichst viel Raum für Ikonisches und Indexikalisches und nur wenig für persönliche Symbolik ?

Die Adresse der Wohnung ist auf der Rückseite eines jeden der 40 Pigment-Prints mit Bleistift vermerkt, wie auch – als Legende auf der Vorderseite – das jeweilige Datum, akribisch und auf die Minute genau, beginnend mit dem 17.02.2020, 11:41 ff. Gemäß dem Satz „das einzig Wahre an einer Fotografie ist Ort und Zeitpunkt ihrer Aufnahme“.

16.04.2020
10:19 ff