Michael Ponstingl | [Rezension]

Christian Wachter: Impressions D'AFRIQUE
Fotohof edition, Salzburg 2007

Es ist zu verlockend, um nicht mit dem Kopf anzufangen: Impressions D'AFRIQUE, verspricht er doch, ein Schlüssel zu Christian Wachters Künstlerbuch zu sein. 1910 legte der französische Autor Raymond Roussel ein befremdliches Buch selben Titels vor. In einer posthumen Schrift lieferte der lebenslang verkannte Modernist seinerseits einen Schlüssel, der Aufschluss gab, wie er einige seiner Bücher geschrieben hatte. Er enthüllte, dass seine Texte algorithmisierten Verfahren entsprungen waren. Insbesondere beutete er das polysemantische Potenzial von (Beinahe-)Homonymen aus, um daraus eine Erzählung hervorzutreiben. So erweist sich die Handlung – und damit die referenzielle Funktion von Sprache – als Effekt des eigentlichen Themas, nämlich der Sprache, der unaufhörlichen Prozesse der Konstituierung und Verschiebung von Bedeutungen.

Was das alles mit in Rede stehendem Buch zu tun haben könnte, stellt bereits das Cover zweifach klar. Durch eine minimale typografische Intervention im Buchtitel – das Präpositionalobjekt kommt nun in Versalien zu stehen – setzt sich Wachter von Roussels Werk ab. Ohne diesen bloß visuell wahrnehmbaren Eingriff im Geringsten interpretatorisch auszuschöpfen, kann er als ein Denken in/von Differenzen, das auf Visibilitäten zielt, lesbar gemacht werden. Die Gestaltung des Covers wiederholt dieses Statement. Wenn Roussel expliziert, seine afrikanischen Impressionen gehen vollständig aus der Annäherung der nahezu identen Wörter billard (Billardtisch) und pillard (Plünderer) hervor, so übersetzt Wachter diese literarische technē am Umschlag ins Fotografische. Er platziert vorne und hinten ein und dasselbe schwer beschädigte Automobil, allerdings aus geringfügig verschobenen Aufnahmestandpunkten.

Nicht dass Wachter derart monolithisch wie Roussel sein Unternehmen einem einigermaßen mechanischen Produktions-Verfahren unterstellte, jedoch dringt sein Buch vehement darauf, über dieses Spiel um signifikante Differenzen, materiale genauso wie semantische, nachzudenken. Aus einem deklariert persönlichen Horizont heraus verwebt der Künstler Splitter seiner Afrika-Begegnungen mit Bildern, die von einem Rom-Stipendium herrühren, und solchen seines Alltagslebens zwischen Paris, Basel und vor allem Wien. In drei Werkblöcken und einer Koda konfiguriert er diese Erfahrungen zu ...? Ja, zu was? Die Strecken sind auf den ersten Blick derart disparat, auf den zweiten stellen sich indes Analogien, Homologien, Übertragungen, Austausche ein, die ein dritter wieder zerstreut. Auf welche Art und Weise die einzelnen Teile miteinander (oder eben nicht) interagieren, das zu formulieren und stets aufs Neue zu formulieren versuchen, bleibt den BetrachterInnen überlassen. In diesen semantischen De/Kompressionen gründet die immense Fruchtbarkeit des Buchs.

Der erste Teil versammelt Standbilder aus einem digitalen Video, gedreht 1998 in der Côte d'Ivoire. Die Aufnahmen blenden langsam von einem Krustentier zur Basilika Notre-Dame de la Paix in Yamoussoukro, der Hauptstadt des Landes, über. In dieser gewaltigen Replik des römischen Petersdoms, 1989 fertig gestellt, verdichtet sich das hochgradig ambivalente Verhältnis des Landes zu seinem kolonialen Erbe. Auf diese kulturelle Über-Setzung von „Europa“ ins heutige Afrika antwortet der zweite Teil mit einer medientechnischen Umschrift des Vor-Bildes. Den Ausgang bildet ein 1999 erstelltes Video des Petersdoms, das Wachter Einstellung für Einstellung in Bleistiftzeichnungen transkribierte; daneben notiert sind in Stichworten Inhalt und Länge des jeweiligen Takes. Er transponiert dadurch die Repräsentation ein weiteres Mal und stellt sie als eine solche aus.

Der dritte Teil verklammert die zwei Welten nochmals: Aufnahmen, die Wachters Lebensgefährtin und sein privates Umfeld zum Inhalt haben, verknüpfen sich mit Schwarzweiß- und Farbfotografien von Akrobaten aus Burkina Faso. Letztere, von einem Unbekannten in den Achtzigern aufgenommen, reproduziert der Künstler auf Video. Die Argumentation der Bilder bestimmt sich teilweise über das Modell, wie wir es vom Cover her kennen: etwa Zweier-Paare (Stillleben) oder variierte Serien (das üppige schwarze Haar der Frau, die Endlichkeit der akrobatischen Figuren). Zweifelsfrei existieren Austauschbeziehungen. Unmittelbar evident wird das beispielsweise an einem der Akrobaten, der mit einem knallroten Overall samt Cape den westlichen popkulturellen Mythos von Superman evoziert. Oder umgekehrt: Wachter bringt die Fotografien dieser lokalen Helden – mit dem Einverständnis des Besitzers – nach Europa und macht sie öffentlich. Doch keineswegs geht es dem Künstler um Harmonisierung, um Zudeckung (post)kolonialer Lagen und Probleme, dafür garantiert allein schon der Bauplan des Buchs. Mit seinem geschärften Blick für kulturelle wie medienmateriale Transfers insistiert Christian Wachter, dass wir den Anderen, den Fremden (und damit Afrika) nur durch Politiken der Sichtbarkeiten hindurch wahrnehmen können.

Aus: Camera Austria Nr. 99, Graz 2007